Integration braucht (auch) Privatheit
Seit über 20 Jahren betreuen wir unbegleitete minderjährige Ausländer_innen (umA). UmA sind junge Geflüchtete, die ohne sorgeberechtigte Erwachsene - also unbegleitet - und als Minderjährige nach Deutschland einreisen und hier vom Jugendamt in Obhut genommen und in der Erziehungshilfe ("Heimerziehung") versorgt werden. In unseren Gruppen sind die jungen Geflüchteten eng betreut und werden systematisch an ein selbständiges und eigenverantwortliches Leben nach der Zeit in unserer Einrichtung vorbereitet.
Selbstverständlich sind die Sprachförderung, Hinführung zu Bildungsmaßnahmen, die Gesundheitsversorgung, die Integration etc. wichtige Aufgabenfelder unserer Arbeit mit den jungen Menschen. Aber auch der psychosozialen Betreuung, insbesondere Bearbeitung der bisherigen - zum Teil erschütternden - Erlebnisse, nehmen wir uns gemeinsam mit den jungen Menschen an.
Die jungen Geflüchteten treffen somit in Deutschland vorwiegend auf Menschen, die sich aus beruflichen Gründen mit ihnen befassen, also eine professionelle Arbeitsbeziehung aufbauen: Jugendamt, Amtsvormund (gesetzliche/r Vertreter_in), Polizei, Ärzte/Ärztinnen, Lehrer_innen und selbstverständlich Betreuer_innen in den Jugendhilfeeinrichtungen.
Vor diesem Hintergrund haben wir Ende 2015 unser Patenprojekt »antoniuspaten« ins Leben gerufen:
Die Idee war, durch ehrenamtlich engagierte (v.a. Wiesbadener) Bürger_innen, für umA die Möglichkeit zu schaffen, private Beziehungen zu in Wiesbaden lebenden erwachsenen Personen aufzubauen. Ziel war es, den jungen Geflüchteten Menschen an die Seite zu stellen, die ihnen durch Vorleben, Erklären und Begleiten die Integration und den Schritt ins Erwachsenenleben erleichtern. Die Patenschaft wird für ein Jahr eingegangen und endet dann formal. Ob darüber hinaus die (private) Beziehung weiterbesteht, bleibt den Paten_innen und den jungen Geflüchteten selbst überlassen.
Wir begleiten die Paten und Patinnen von Anfang an durch Gespräche, Schulungen, regelmäßige Informationen und die Schaffung von Austauschmöglichkeiten (Patenstammtisch). Selbstverständlich gestalten wir mit den Paten_innen und den Jugendlichen den Start und auch das formale Ende der Patenschaft, sodass der Beginn und auch der mögliche Abschied bewusst und positiv erfolgen können. Die Projektleiterin steht den Paten_innen als Ansprechpartnerin kontinuierlich und professionell zur Seite.
Der Gewinn, den die umA und die Paten/ Patinnen durch die Patenschaften erleben, übertrifft deutlich unsere Erwartungen. Viele Patenschaften bestehen lange über das formale Ende hinaus, da dauerhafte Kontakte und Beziehungen entstanden sind. Viele umA sind in die Familien integriert, nehmen an Familienfesten teil und sind selbstverständlich mit Kindern, Freunden, Verwandten der Paten und Patinnen in Kontakt. Darüber hinaus sind die Unterstützung in schulischen Belangen, Ausbildungsplatzsuche, Wohnungssuche, Behördengänge etc. immer wiederkehrende Themen der Patenschaften, die den umA Stabilität geben und die Integration erleichtern.
Paten und Patinnen berichten darüber, dass durch die Patenschaft ihr Leben bereichert wurde und sie neue Perspektiven und Kulturen kennen lernen durften. Vielen umA ist es ein Anliegen auch »etwas zurück zu geben«, was sie in Form von Hilfe beim Babysitten, Einkaufen u.a. gerne tun. Auch dies ist ein Zeichen für eine private Beziehung die im Idealfall aus "geben und nehmen" besteht.
Die »antoniuspaten« sind Teil des Netzwerks »gemeinsam-in-Wiesbaden«